Geschwindigkeit antiker Streitwagen

Technik und praktische Umsetzung
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Angela
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RE:

Beitrag von Angela » 28.02.2007, 22:49

Original geschrieben von Frank
Tja, hier im Forum kann Dir Angela sicherlich die kompetenteste Anwort auf Deine Frage geben.

Danke :schaem aber ich kann auch nicht mit konkreten Geschwindigkeitsangaben dienen, nur mit Schätzungen.

Moderne Kurzstreckengalopper (z.B. Quarter Horses) schaffen bei optimalen Bodenbedingungen bis zu 70 km/h über eine Viertelmeile. Geschwindigkeitsrekord über die Derby-Distanz 2,4 km auf Sandbahn hält glaube ich immer noch Secretariat bei seinem legendären 31-längen Sieg beim Belmont Stakes 1973 (auch das kann man sich bei Youtube anschauen --> klick ), mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 63 km/h.
Bild
Secretariat im Training

Die Pferde die seinerzeit in Vorderasien und Ägypten als Wagenpferde verwendet wurden, waren wesentlich kleiner und natürlich nicht auf gleicher Art und Weise auf Hochleistung gezüchtet. Aber es waren Pferde im Vollbluttyp, die sicherlich mehr Geschwindigkeitspotential hatten als nordlichere Pferdetypen (Die Römer importierten ihre Rennpferde u.a. aus Vorderasien). Man könnte sie vom Gebäude am ehesten noch mit kleine arabische Pferde vergleichen. Araber sind auf Derbydistanz langsamer als englische Vollblüter, die guten kommen i.d.R. auf 55-57 km/h (und man denke erst am Phönix in Dauchingen ;-) ). Araber sind ab einer Distanz von ca. 5km erst den englischen überlegen. Phonix' Ur-Ur-Opa Knippel hat beispielsweise bei einem 7km Rennen immer noch eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 50 km/h an den Tag gelegt.

Ein Wagen hintendran bremst natürlich noch mehr als ein (einigermaßen geschickter) Reiter.

Ich finde in meiner Literatur jetzt auf die Schnelle keine Gewichtsangaben, aber die ägyptischen Streitwagen beispielsweise waren extrem leicht gebaut (im Vergleich beispielsweise zu den keltischen Wägen oder den römischen Bigae):
Bild
(Aus: M.A. Littauer & J.H. Crouwel, Chariots and Related Equipment from the Tomb of Tutankhamun)

Auf einem einigermaßen festen Boden hätten diese die Pferde nur wenig ausgebremst. Man sollte jedoch dazu bedenken, dass ein Streitwagen nicht in erster Linie für kurze Sprints gedacht war, sondern um eine einigermaßen hohe Geschwindigkeit mittelfristig durchzuhalten und dennoch beweglich genug für schnelle Wendungen zu sein.

Also grobe Einschätzung meinerseits: Möglich wäre im Höchstfall (bei optimalen Boden und guten Pferden) an die 40 km/h, in der Praxis wär's wahrscheinlich an die 30 km/h gewesen. Bei 25-30 km/h kann man zudem noch schnelle Wendungen ausführen. Streitwagen wurden im Krieg an sich nicht für den dauerhaften Angriff verwendet (dafür einfach zu teuer und im dichten Getummel ungeeignet), sondern eher für einen schnellen Angriff, Wendung, und gleich wieder Rückzug um den Bodentruppen das Feld zu überlassen. Also mitunter auch eine Einschüchterungstaktik, wurde übrigens von den Kelten genauso praktiziert.

Wer meint, 30 km/h sei nicht viel, der möge sich mal auf ein Auto stellen (anlehnen darf man sich wenn der Gepäckträger groß genug ist, festhalten gilt nicht nicht), welches auf einem holprigen Feldweg 30 km/h fährt, und von dort aus bissl Bogenschießen. :D

Wer sich für altorientalische Streitwagenkultur interessiert, nette Literatur dazu ist z.B.
- A. Herold, Streitwagentechnologie in der Ramses-Stadt
- U. Hofmann, Fuhrwesen und Pferdehaltung im alten Ägypten
- M.A. Littauer & J.H. Crouwel, Wheeled Vehicles and Ridden Animals in the Ancient Near East.

Viele Grüße

benz

Beitrag von benz » 28.02.2007, 23:11

und wer hat da behauptet dass sei hier das falsche Forum? :D

super Infos, toll, danke :anbet

liebe Grüße benzi

flug
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Beitrag von flug » 01.03.2007, 22:20

Vielen Dank für die ausführlichen Antworten!

Sie scheinen in etwa meine Einschätzung zu bestätigen, daß die "Höchstgeschwindigkeit" bei guten Bedingungen (guter Boden, leichter Wagen, schnelle Pferde) um die 40 km/h gelegen haben dürfte, wenn ich auch gedacht hätte, die Teile seien noch ein wenig schneller gewesen.

Zur Antilopenjagd scheint mir das allerdings ein wenig langsam zu sein, las ich doch heute in einer Illustrierten, daß schon ein Nashorn um die 45 km/h schafft, und ich mich zu erinnern glaube, daß eine Antilope so um die 80 schafft.
Es gibt keine verlorenen Tage. Es gibt nur verlorene Hoffnungen.

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Angela
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Beitrag von Angela » 01.03.2007, 23:00

Hallo Habicht,
wenn man's genau haben will, wird man um einen Versuch unter möglichst originaltreuen Bedingungen nicht herumkommen (als fang schon mal das Bauen an :D )

Antilopen sind bestimmt schneller als Pferde, aber man muss die Antilope ja nicht überholen um sie zu treffen - wenn man schnell und treffsicher schießen kann! Ich stell mir das ja auch nicht ganz einfach vor, aber wenn's einfach gewesen wäre, wäre es ja auf keine Pharaonenwürdige Herausforderung gewesen ;) Löwenjagd war wohl auch ganz populär. Nashörner weiß ich nicht :D

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Snake-Jo
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Beitrag von Snake-Jo » 02.03.2007, 08:11

@Angela: Danke für die Informationen.

@all: Träumt weiter, wenn ihr Antilopen vom Streitwagen aus schießen wollt! :D
Wer schon mal gesehen hat, wie der schnellste Räuber dieser Welt (nein, nicht der Mensch, der ist nicht schnell) - der Gepard - mit max. Geschwindigkeit von 110 km/h eine Antilope gejagdt hat und dennoch es nicht geschafft hat, weil die Antilope einen Haken schlug, der kann sich vorstellen:
Die Tiere wurden in einem Kessel getrieben (oder ähnlich) und dann durfte der Pharao da rumgurken und auf die vorbeirennenden Tiere schießen.
Ansonsten Selbstversuch: Man nehme einen ungefederten Streitwagen, eine holprige Savanne und ein schnelles Pferd. Ich glaube, dass da selbst bei 10 km/h keiner was trifft. Ach , was sag ich, 5 km/h. :D :D
Weltrekorde (gerundet):
Mensch: 44 km/h auf 100 m
Antilope: 85-90 km/h lange Distanzen
Gepard: 120 km/h auf 500 m
Pferd: 70 km/h (s. Angela)
Strauß: 70 km/h

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Steini
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Beitrag von Steini » 02.03.2007, 08:16

Treffen? Ich könnte mir vorstellen, dass das stehenbleiben ohne festhalten bei 30km/h über Holperstrecke die primäre Herausforderung ist!!
:D :D

Vielleicht gabs da Fussschlaufen wie auf einem Surfboard und einen Gürtel mit Karabinern zum einpicken...


Steini

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Beitrag von Juergen Becht » 02.03.2007, 08:58

Wer in Osterburken bei der TradBowCom mitgemacht hat, kennt das Gefühl aus einer HolterdiPolterdi Perdekutsche zu schiessen. :D

Vielleicht gabs da Fussschlaufen wie auf einem Surfboard

Das gabs dort übrigens auch :-(

Polvarinho
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RE:

Beitrag von Polvarinho » 02.03.2007, 10:58

Original geschrieben von Snake-Jo
@ all: Träumt weiter, wenn ihr Antilopen vom Streitwagen aus schießen wollt! :D
Wer schon mal gesehen hat, wie der schnellste Räuber dieser Welt (nein, nicht der Mensch, der ist nicht schnell) - der Gepard - mit max. Geschwindigkeit von 110 km/h eine Antilope gejagdt hat und dennoch es nicht geschafft hat, weil die Antilope einen Haken schlug,


Ich glaube, Jo, der Gepard würde in jedem Fall versuchen zu schiessen....wenn er es denn könnte!

Ich weiß nicht wie lange eine Antilope (nehmen wir mal die leichten und schnellen) die hohe Anfangsgeschwindigkeit halten kann. Ich gehe mal davon aus, das sie das zwar länger als der Sprinterkönig, aber eben nicht so lange wie ein gut trainiertes Pferd kann.

Ich stelle mir vor, der Pharao hat nach einer etwas längeren Hetzjagt bei hoher Gewschindigkeit auf die langsam ins Hecheln geratenen Antilopen geschossen.....

.....würd doch ein Pharao sonst nicht machen
:D
Claus
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Snake-Jo
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Beitrag von Snake-Jo » 02.03.2007, 11:29

@Polvarinho: Sieh Dir mal die Werte oben an bei meinem Post. Antilopen und Gazellen (je nach Art) schaffen eine
Dauergeschwindigkeit von 85-90 km/h, Pferde nur von 50, d.h. die sind schnell außer Sichtweite.
Gazellen wurden und werden in der Sahara mit Assawakh-Windhunden gejagdt. Diese erreichen gegenüber den lahmen Pferden noch über 100 km/h auf 3 km. Mein Doktorvater hat eine Zuchtgruppe und ich habe sie rennen sehen in der Wüste. Aber damit sind wir wohl endgültig weg vom Thema.

8-|

Trebron
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RE:

Beitrag von Trebron » 02.03.2007, 12:51

Original geschrieben von Frank


Ich selbst hab mal angefangen einen anktiken (keltischen) Streitwagen nachzubauen. Die keltischen Räder stehen 'modernen' Holzspeichenrädern technisch in nix was nach. In der Antike gab es keine Stahlachsen - die sind erst viel Später gekommen... ;-)

Gruß, Frank


Stichwort Achsen: Selbst mit Talg, Fett... geschmierte Achsen sind sicher einem durch die Reibung erhöhten Verschleiß ausgesetzt.
Würde mich mal interessieren, ob die bei ihren Feldzügen einen Tross "Wagner" dabei hatten :o :D , wie oft da die Achsen / Räder gewechelst werden mußten !!

Trebron

übrigens eine interessantes Thema ;-)
Wer nur zur?ck schaut, sieht nicht, was auf ihn zukommt

angeblich ungarisches Sprichwort

Frank
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RE: RE:

Beitrag von Frank » 02.03.2007, 14:38

Original geschrieben von Trebron

Stichwort Achsen: Selbst mit Talg, Fett... geschmierte Achsen sind sicher einem durch die Reibung erhöhten Verschleiß ausgesetzt.
Würde mich mal interessieren, ob die bei ihren Feldzügen einen Tross "Wagner" dabei hatten :o :D , wie oft da die Achsen / Räder gewechelst werden mußten !!

Trebron

übrigens eine interessantes Thema ;-)


Die Achse des 'wetwang chariot' war aus Ulme und ziemlich massiv (so 8cm - 10cm Durchmesser). Die Enden Waren leicht konisch gearbeitet und die Räder wurden von einem 'Nagel' auf der Achse gehalten. So konnte man die Räder sicher gut schmieren und schnell auswechseln. Auch die Achse selber war vermutlich nur mit der Deichsel verkeilt und mit Rohhautstreifen am Rahmen befestigt (Da die Holzteile aber kaum erhalten sind, gibts da viele Interpretationsmöglichkeiten). Also auch etwas, was man mit wenig Werkzeug wechslen konnte.

edit:
Hier noch ein link zum Britisch Museum.

Diese Rekonstruktion ist aber schon nicht mehr 'state of the art'. Sie ist zu steif zusammengesetzt und kann einseitige Schlaglöcher sehr schlecht ausgleichen. Inzwischen ist der dort zu sehende Wagen überarbeitet.

Steve L.
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Beitrag von Steve L. » 03.03.2007, 12:44

Sie scheinen in etwa meine Einschätzung zu bestätigen, daß die "Höchstgeschwindigkeit" bei guten Bedingungen ([orange]guter Boden[/orange], leichter Wagen, schnelle Pferde) um die 40 km/h gelegen haben dürfte, wenn ich auch gedacht hätte, die Teile seien noch ein wenig schneller gewesen.


Man muß berücksichtigen, dass die Schlachtfelder der Antike vorbereitet wurden! Man traf absprachen und das Gefechtsfeld wurde dem entsprechend ausgearbeitet, planiert, etc...

Die Wagenfahrer (der meisten Kulturen) gehörten der sozialen Elite an - denen stand es zu, unter optimalen Bedingunen Gefechte zu führen!

Dementsprechend war natürlich auch das Gerät gewartet und für den jeweiligen Kampf präpariert. Da kann man am besten den Vergleich zu neuzeitlichen Bob- oder Rennwagen-Teams ziehen:

Fahrzeug vor Ort transportieren, zusammenbauen, Support, der Fahrer/ die Besatzung steigt auf und los geht´s. Nach dem Gefecht dann halt Demontage und post-support - bis zum nächsten Mal.

Die Wagen waren aller Wahrscheinlichkeit nach nicht im permanenten Gebrauch!
H?te Dich vor dem Zorn des geduldigen Mannes - und bete, niemals der Tropfen zu sein, der sein Fa? zum ?berlaufen bringt!

Polvarinho
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RE:

Beitrag von Polvarinho » 03.03.2007, 13:00

Original geschrieben von Snake-Jo
Aber damit sind wir wohl endgültig weg vom Thema.
8-|


...steht zu befürchten... :-(

Aber wie Trebron sagt: interessantes Thema ;-)
Claus
Wo es nur um das Gewinnen geht, dort gibt es zu viele Verlierer.

Steve L.
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Beitrag von Steve L. » 03.03.2007, 16:56

Was den Reichtum antiker Wagen- und Nationenlenker anbelangt:

Irgendwoher muß der doch wohl kommen, in Ägypten war´s dynastisch geregelt (aber auch hier machte irgendwann einer den Anfang), andernorts hatten sich die Anführer ihre Position im Sinne des Wortes erarbeitet! Und ich meine nicht (nur) durch konsequentes Vorgehen gegen soziale Konkurrenten, sondern auch wirklich durch Arbeit in den Bergwerken (Salz, Erze,...), auf dem Felde, im Walde (Köhlerei, Holzschlag,...), durch Handel,...

Durch die Arbeitsteilung und teilw. Spezialisierung ab dem späten Neolithikum (in Kleinasien früher, mediterran und mitteleurpäisch später) konnten sich soziale Eliten ja erst herausbilden!

Und da Erfolg bekanntlich Neider schafft, wurden Waffen entwickelt und konzipiert, welche vorrangig gegen den Artgenossen und nicht mehr gegen Wildbeute eingesetzt werden konnten.

Klar leisteten sich die Eliten bessere Waffen als sie dem Plebs zubilligten (wären ja auch schön doof, wenn), um das eigene Überleben zu sichern - denn davon hing oftmals das Überleben eines Volkes ab. Ich bezweifle, dass dem Pharao, dem "keltischen" Häuptling oder dem griechischen "Helden" das gemeine Volk egal war! Darauf baute ja schließlich die eigene Position auf!

Abgesehen davon:

Wagen wie die hier gezeigten waren auch gut erkennbare Ziele als der Mann in der Masse! (Ich würd´mich niemals in einen Leo II setzen im Krieg!)

Kein antiker Krieg - eigentlich keiner der Menschheitsgeschichte - entbrannte aus Langeweile!

Ach ja, Nachtrag:

Langeweile und Adrenalinsucht sind Produkte des 20 Jh., und zwar der 2. Hälfte des 20. Jh. - würde fast sagen:

Produkte der letzten 25 Jahre!
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Angela
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Beitrag von Angela » 03.03.2007, 18:31

Original geschrieben von Steve L.
Ach ja, Nachtrag:

Langeweile und Adrenalinsucht sind Produkte des 20 Jh., und zwar der 2. Hälfte des 20. Jh. - würde fast sagen:

Produkte der letzten 25 Jahre!


Sehe ich anders, sonst wäre das Colosseum nie erbaut worden :-)

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