Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

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Heidjer
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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Heidjer » 09.09.2009, 23:52

Der Bogenrücken ist nicht das Problem, er ist Stark genug um den Bauch zu zerdrücken.
Passiert schnell wenn der Stave noch zu feucht ist.

Frage 1: Wie weit drückst Du den Griff im Bodentiller denn rein, weiter als 10 cm?
Frage 2: Wann wurde die Haselrute geschnitten, vor 2 Wochen?
Frage 3: Wie wurde sie seit dem getrocknet, und bist Du Dir sicher das sie schon trocken ist?

Ansonsten fertig trocknen, Bauch abtragen, Bogen 10 cm kürzen und tempern.


Gruß Dirk
Zuletzt geändert von Heidjer am 09.09.2009, 23:55, insgesamt 1-mal geändert.
Ein Pfeil, den Schaft gemacht aus der Pflanzen hölzern Teil, versehen mit eines Vogels Federn und einer Spitze, aus der Erde Mineral, wird von der Natur gern zurückgenommen.

tomtux
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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von tomtux » 10.09.2009, 00:30

wenn der im bodentiller schon knittert ist leider ziemlich ende, die brüche gehen normalerweise tiefer als sichtbar ist.

die logik, warum ein runder rücken den bauch überlasten soll verstehe ich beim besten willen nicht. wenn ein holz doppelt so zugfest wie druckstabil ist mache ich den rücken halb so breit wie den bauch, dann hab ich halbwegs ausgeglichene kräfteverhältnisse und der sonst (bei rechteckquerschnitt) viel zu starke rücken überlastet den bauch nicht.
hasel ist sehr zugstark und wenig druckfest, mein stärkster hasel hatte 32mm durchmesser und 55#, ringstärke max. 1mm, KEIN decrowning.

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von the visioner99 » 10.09.2009, 07:37

@ Dirk M
zu Frage 1: Kann ich nicht genau sagen. Es waren schon 10cm maximal 15cm. Ich habe jedoch die Biegung im Spiegel relativ rund gesehen.

zu Frage 2 und 3: Sie wurde vor ca. 5-4 Wochen geschnitten , dann am nächsten Tag grob zugearbeitet und dann erst einmal 2 Wochen liegen gelassen. Getrocknet wurde sie im Haus. Sie ist definitiv trocken und hat schon nach 12 Tagen kein Gewicht mehr verloren.

Nach 2 Wochen habe ich dann weitergemacht und ihn von 1,95 auf 1,85 gekürzt.

Jan- Christian

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Ravenheart » 10.09.2009, 09:45

"Es gibt Bäume, die WOLLEN einfach keine Bogen werden!"
(Henning)

@visioner: Sei nicht traurig! Das gibt es, und es ist nicht zu ändern! An dem Stave noch weiter rumzuschnitz wäre sinnlos, es sei denn, Du willst das Schnitzen üben...

Hak' es ab und beginne den Nächsten!

Rabe

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Granjow » 10.09.2009, 10:02

@tomtux Meine Überlegung war: Wenn Hasel zugstark ist und wenig dehnbar (dh man kann zwar fest dran ziehen, ohne dass was geschieht, aber er ist dabei nicht gummig wie eine Sehne) wäre, würde der runde Rücken den Bauch nur noch mehr belasten.

Simon

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von tomtux » 10.09.2009, 10:58

@granjow

genauer stehts z. b. hier:
http://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%A4ch ... eitsmoment.

das genaue gegeteil ist der fall, runder rücken belastet den bauch am geringsten!

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Ravenheart » 10.09.2009, 11:17

(tomtux war schneller...  :(  ;D)
@  Granjow: Nee, das ist ein Denkfehler!

Mach diese Gedankenexperimente:

1. Bauchhälfte Holz, Rückenhälfte Schaumstoff:
Der Rücken dehnt sich ohne wesentlichen Widerstand. (Fast) die ganze Krümmungslast trägt die Bauchseite, wobei sie an der Oberseite auch noch gedehnt wird - die neutrale Zone ist Richtung Bauch verschoben. Das Werkstück reagiert wie ein halb so dicker Bogen mit einem sanften Backing. Entsprechend ist das Zuggewicht geringer - und damit AUCH die Belastungen!! (Es stimmt also nicht, wie es manchmal gesagt wird, dass dies den Bauch mehr belastet!)

Ein gerundeter Rücken kann weniger Zuggkraft aufnehmen und wird daher stärker gedehnt. Er geht also EIN WENIG in diese Richtung....

2. Bauchhälfte Schaumstoff, Rückenhälfte Holz:
Nun drückt beim Krümmen der Bauch ohne nennenswerten Widerstand zusammen. Wieder reagiert er wie ein halb so dicker Bogen, was auch die Zugbelastungen des Rückens reduziert und die neutrale Zone in Richtung Rücken verschiebt.

3. Rücken Kohlefaser, Bauchhälfte Holz:
Nun dehnt der Rücken sich deutlich weniger! Das Zuggewicht steigt immens, und da Bauch und Rücken an ihren Oberflächen immer je die Hälfte der Spannung abbekommen, wird nun auch der Bauch deutlich stärker belastet, also stärker komprimiert.

Grund: Nimm 2 Leisten, genau gleich lang, verbinde sie unverschiebbar an einem Ende - dann krümme sie.
Sie verschieben sich zueinander am freien Ende! Der Radius der Bauchseite ist kleiner als der Radius der Rückenseite. Diese Längendifferenz muss ausgeglichen werden. Sind Zugfestigkeit des Rückens und Druckfestigkeit des Bauches etwa gleich, dehnt sich der Rücken und staucht sich der Bauch, etwa um das selbe Maß, nämlich je 1/2 der Längendifferenz.
Dehnt aber der Rücken sich weniger, MUSS sich der Bauch um so mehr komprimieren, um die Längendifferenz auszugleichen. Folge: Kompressionsbrüche.

4. Rückenhälfte Holz, Bauchhälfte Kohlefaser:
Nun ist es umgekehrt, der Rücken muss sich mehr dehnen, um die Längendifferenz abzufangen.

Fazit:
Ein gerundeter Rücken verteilt die Zugspannung auf weniger Holz. Der Rücken dehnt sich stärker, was den Bauch entlastet.

Rabe

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Commerz » 10.09.2009, 11:42

Wahnsinn Rabe :o
sehr gut erklärt. Noch nie wurde mir das so deutlich wie durch Deine Erklärung. Und wieder ein Stück mehr Bogenbauerwissen. Sollte ein "sticky" werden oder man das ins Wiki aufnehmen :)

Da kann man ja froh sein das Bambus leicht gewölbt ist. Stell Dir mal vor der wäre komplett gerade wie ein Brett, das würde jeden Bauch zerquetschen.

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von the visioner99 » 10.09.2009, 16:32

Erstmal bedanke ich mich für die rege Beteiligung und die vielen Versuche mir zu helfen! Echt toll

@ rabe
Ich hak ihn jetzt entweder ab oder lasse den Griff mitbiegen und mache aus ihm einen Kinderbogen mit 15# und gebe ihn den Nachbarskindern.

Muss bestimmt lustig aussehen, so ein Kind mit 1-1,50 m Größe mit einem 1,85 m großen Bogen. ;)

Und danke für die Aufklärung mit der Bauchbelastung bei einem runden Rücken.


LG Jan- Christian

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Ravenheart » 10.09.2009, 17:40

Kinderbogen als letzten Rettungsanker ist immer eine gute Idee, ABER:

Kinderbogen mit 15# und 1,85 Länge ist Unsinn, sorry! Duch die geringe Stabilität (wenig Material) würde der sich "wabbelig" schießen wie Gelee...

Wenn es ein 15#-KiBo werden soll - kürze ihn auf 1,65 m...

Rabe

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von the visioner99 » 10.09.2009, 17:50

Ist mir klar, dass er wabbelig werden würde aber erstmal würde ich ihn so lang lassen. Nicht dass ich nachher wieder stauchrisse habe, weil das Material aufgrund der Kürze überlastet wird. Da gehe ich erstmal auf nummer sicher.

Außerdem geht es mir eigentlich auch nur darum, dass ich einen halbwegs schießbaren Bogen herstelle. Dass wäre schon ein Erfolgserlebnis.

LG the visioner

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Granjow » 10.09.2009, 22:47

@tomtux Danke für den Link, werde morgen (heute ist zu spät) mal etwas lesen.

@Rabe Danke für die genaue Erklärung. Fall 3 ist genau das, was ich meine. Angenommen, der Hasel verhält sich aus irgendeinem Grund auf Zug wie Kohlenstofffaser. Dann ist ein runder Rücken doch schlechter für das Bauchholz als ein flacher, oder seh ich das falsch? Aber klar, Hasel wird sich nicht so verhalten, sondern sich anständig dehnen.

Simon

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Granjow » 11.09.2009, 09:15

Sooo, wieder Morgen.

Das Flächenträgheitsmoment ist interessant, muss mal etwas herumrechnen damit, wenns mir mal langweilig ist. Aber …

Mir erscheint jetzt aber alles weniger logisch. Das ist doch total Quatsch, dass ein runder Rücken den Bauch entlasten soll. Ja klar, das Flächenträgheitsmoment ist bei einem runden Bauch anders. Aber nur dann, wenn man auch eine andere Zugkraft hat! Wir wollen ja einen Bogen mit bestimmter Zugkraft und fragen uns dann, wo der Bauch stärker belastet wird: Beim geraden oder beim runden Rücken?

So, wie ich das sehe, ist der Bauch doch immer genau gleich fest belastet, solange er die selbe Form hat. Wenn er mehr belastet werden würde, heisst das, dass er mit grösserer Kraft zusammengedrückt wird und sich auch mit grösserer Kraft wieder auseinander…machen will. Also grössere Zugkraft, denn hier gilt immer noch das Newtonsche Gesetz nummer wasweissich, Actio = Reactio.

Der Bauch kann höchstens stärker belastet werden, indem man ihn abrundet, hier kommt jetzt das Flächenträgheitsmoment ins Spiel. Die Neutralebene (die nicht gebogen oder gezogen wird) verschiebt sich dann weiter vom Bauch weg, somit wird dieser ganz aussen stärker zusammengedrückt. Aber indem man den Rücken abrundet, tut man nur den Rücken stärker belasten und für den Bauch ändert sich nichts. Der hat ja immer noch die selbe Form.

Moment, ich zeichne mal kurz … ok. Die beiden Querschnitte sind für die selbe Zugkraft (übertrieben dargestellt), die Strichlinie bezeichnet die Neutralebene. Das sagt doch das Flächenträgheitsmoment, oder? Und der rechteckige Teil wird immer gleich stark belastet, egal ob die andere Seite nun rund oder sternförmig oder spiralig oder was auch immer ist. Allerdings wird der äusserste Punkt bei der nicht flachen Seite stärker gedehnt bzw. zusammengedrückt.

Soweit mein Verständnis.

Simon
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BogenQuerschnittFormen.png
Zuletzt geändert von Granjow am 11.09.2009, 09:17, insgesamt 1-mal geändert.

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von skerm » 11.09.2009, 09:41

Wie kommst du darauf, daß die neutrale Ebene dort liegt, wo du sie eingezeichnet hast?

Wo die neutrale Ebene in der linken Skizze liegt, weiß ich nicht. In der rechten Skizze liegt sie nur mittig, wenn das Material auf Druck und Zug gleich stark ist. Das hat Rabe ja erklärt. Wenn oben ein sehr zugstarkes Material vorliegt, wandert die neutrale Ebene nach oben. Für den unteren Rand heißt das, daß er sich bei der Biegung mehr komprimieren muss. Je weiter weg von der neutralen Ebene, umso größer ist die Kompression der Druckseite bzw. Dehnung der Zugseite. Wenn du dann auf der Zugseite Material wegnimmst - den Rücken abrundest -, verschiebt sich die neutrale Ebene in Richtung der Druckseite. Durch den geringeren Abstand wird die Stauchung, die nötig ist, um der Biegung zu folgen, geringer. Der Bauch wird also entlastet.

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Re: Stauchrisse im selbstgeschnitzten Bogen

Beitrag von Granjow » 11.09.2009, 14:28

Es kommt ja nicht drauf an, wo genau sie liegt.

skerm hat geschrieben:Wenn du dann auf der Zugseite Material wegnimmst - den Rücken abrundest -, verschiebt sich die neutrale Ebene in Richtung der Druckseite. Durch den geringeren Abstand wird die Stauchung, die nötig ist, um der Biegung zu folgen, geringer. Der Bauch wird also entlastet.


Ich verstehe, was du sagen willst, und verstehe deine Überlegung auch. Aber da ist doch ein Überlegungsfehler.

Wenn ich Material wegnehme auf der Zugseite, wird die Druckseite entlastet. Das ist klar: Die Neutralebene verschiebt sich zur Druckseite hin, das ist völlig korrekt, aber dabei sinkt die Zugkraft des Bogens.

Aber wenn die Zugkraft die gleiche bleiben soll, dann verschiebt sie sich eben nicht!


Der Punkt ist doch: Die grüne und die rote Fläche (Druck- und Zugfläche) müssen genau die gleiche Kraft aufbringen, nur in die entgegengesetzte Richtung. So bekommt man die Zugkraft des Bogens. Wenn grün weniger leistet, tut dies auch rot automatisch und die Zugkraft sinkt. Und warum kann man grün nicht mit einem Höger entlasten: Wenn die Neutralebene sich zur Druckseite hin verschiebt, wird grün kleiner und es kann somit einfach weniger leisten!

Und gerade weil die grüne Fläche in beiden Fällen die selbe Arbeit leisten muss (gleichbleibende Zugkraft), muss sie doch auch gleich gross sein.


Da ist ganz egal, ob ein Material nun druckstark oder zugstark ist oder was auch immer. Der Bauch wird entlastet, indem man ihn flach macht, nicht indem man am Rücken bastelt.


Nebenbei, ist «zugstark» überhaupt definiert? Weil da gibt es zwei Aspekte, die beim Bogenbau wichtig sind: Wie viel Zug hält das Material aus und wie fest dehnt es sich dabei.


Simon

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