Blutohr vs. Fahrradfahren

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Sjaunja
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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von Sjaunja » 12.08.2014, 17:16

Squid hat geschrieben:So nu mal der weitgehend uninformierte Laie:

Ihr redet hier ja offensichtlich über diverse Schulen des sog. Tempelschiessens und auch über Wettbewerbe - ebenfalls mit Schwerpunkt auf der Schulen- bzw. Lehrerorientierten Vorgehensweise.

Den Ursprung hat das japanische Bogenschiessen aber selbstverständlich im militärischen Bereich.
Und so viel ich weiß hatte der Bogen zeitweise den gleichen oder gar einen höheren Stellenwert als das Katana.

Also: Wie hat denn der geneigte Samurai geschossen, der im Gefecht mutmaßlich wenig Zeit für Ritual hatte?



Siehst Du doch mais o menos hier: http://www.youtube.com/watch?v=FtCb_yHdC1I

Und zusätzlich: http://www.youtube.com/watch?v=dTLCKDRIg14 und http://www.youtube.com/watch?v=dTLCKDRIg14

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shokunin
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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von shokunin » 12.08.2014, 17:54

@squid,

Die alten Clips in Sjaunja's Links sind von Schützen der Satsuma-Heki-Ryu, die pflegen das "Kriegsschiessen" (sowohl schnell als auch in Formation). Heki Ryu Insai-ha ist eng verwandt und da wird das auch noch gelehrt und geübt.
Das ist schon so etwa die Form, die auch auf dem Feld Anwendung fand - etwas anders als Kyudo heute ... weicher Handschuh (wegen Führen von Schwert, Reiten usw), verkürzter Auszug (wegen Helm), keine Bogenrotation (wegen Zeit - aber schon mit Torsion), Heben und Aufziehen von unten (wegen nicht in die Achsel geschossen werden wollen beim Heben über-Kopf) ::)

Das Tempelschiessen, wie auch Formen des berittenen Schiessens, sind primär Zeitvertreib, Training und ein Stück weit höfisches Rituell der Kriegerkaste gewesen, kamen aber irgendwo schon auch vom Feld...

Im Sanjusangendo ist die Besonderheit, dass eine lange bedachte Veranda entlang geschossen wird (besser: wurde). Diese Veranda ist 120m lang und nicht arg hoch (hab' aber kein Maß parat). Es muss dort mit starken Bögen geschossen werden, die sind kürzer als der heutige Standard-Yumi und sind unten wohl recht steif. Dadurch werfen sie eher hoch, weil der Bogen unten etwas stärker vorschnellt. Die Chikurin-ha Technik ist ausgelegt um mit diesen starken Bögen weit und viel zu schiessen. Es ist daher z.B. auch die einzige Schule, die bis heute noch (wenigstens gelegentlich) einen Handschuh auf der Bogenhand trägt.

@Sjaunja

interessantes Link :)

Ich habe gehört die Techniken werden noch geübt, und laut Herrn Koppedeyer werden auch noch die starken Bögen geschossen - er spricht von Bögen mit bis zu 160#, die er selbst in Action gesehen habe... Ich weiss dazu aber nix Konkretes.
Ich habe einmal einen unserer Lehrer dazu befragt, er meinte das 24 Stunden Schiessen sei seit, glaube ich, den 50er oder 60er Jahren gar nicht mehr erst versucht worden... ist also wohl heute als "ausgestorben" zu betrachten.
Ganz konkret weiss ich das aber eben nicht, und wenn man da googelt, nach Sanjusangendo und Toshiya usw..., dann findet man eben nur das moderne Event zum Seijin-No-Hi ("Tag des Erwachsen-Werdens" oder wie man das übersetzen will). Da stellen sich eben die frisch gebackenen Erwachsenen im Festgewand zum Schiessen ein... und auch, was man so liesst, hunderte (ausschliesslich männliche und meist auch nicht japanische...) Fotographen, die dieses Fest fotographieren... bzw die Mädels, das Schiessen der Jungs und der Senseis schein weniger populär. Wieso das wohl ist... >:)

Gruss,
Mark
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Fitzlibutz
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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von Fitzlibutz » 12.08.2014, 17:59

Tempel-Schießen im Sanjusangendo - der Tempel wird mit 120m beschrieben, die Schützen saßen beim Schießen. Wobei die Schießbahn entlang der Längsseite der Aussenwand verläuft und das wie in Japan übliche, überkragende Dach eine schnelle, flache Flugbahn erfordert. Die überstehenden Balkenköpfe sind jedenfalls voll von Pfeilen und deren Resten.

Bis zum Ende der Edo-Zeit sind 823 Schützen aufgelistet; davon 30 mit herausragenden Leistungen.
Zwei Schützen werden besonders erwähnt:
    Hoshino Kanzaemon: 8000 Treffer bei 10542 Pfeilen
    Wasa Daihachiro: 8133 Treffer bei 13053 Pfeilen mit 9 Pfeilen pro Minute
Wie Shokunin beschrieben hat waren da jede Menge hilfreiche Wesen aussenrum und die Typen hatten sich die Bögen mit Pech in die Hand geklebt.(!)
Was da sonst noch logistisch passiert ist kann man nur mutmaßen; ich gehe aber davon aus dass bei der Kadenz keiner eine schamhafte Pinkelpause eingelegt hat. Das war schlichtweg hoch optimiert, auf maximale Schußleistung und Mega-Show für die Besucher ausgelegt. Das Equivalent zum Autorennsport unserer Tage. Ob 9 Pfeile/Minute auf mehrere Stunden wirklich machbar waren kann man heute nicht abschließend beurteilen.

Wie bei allen Themen aus der Edo-Zeit (1603-1868) muss man den Kontext beachten: Waffe der Wahl waren Gewehre, die "Samurai-Künste" peinliche Auslaufmodelle. Totale Isolation nach aussen, es ging nur und ausschliesslich um den Machterhalt der Tokugawa-Shogune.

UND: Das "Weg-des-Kriegers-Bushido-Gesülze" ist üble Geschichtsklitterung der Neuzeit. Ein Träumen von der "guten alten Zeit" in den modernen Zeiten des Edo. --> Bitte zusammen mit Herrigel in die Tonne treten.

Stell mir Edo authentisch vor wie 265 Jahre Merkel; alle träumen von Lederhosen und feiern Scoville-Mross...

//Stefan

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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von Wilfrid (✝) » 12.08.2014, 18:08

Bei jedem guten Bogen ist der untere Wa schneller als der obere, und bei so einem asymmetrischen Bogen wie dem yumi aber garantiert.

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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von Sjaunja » 12.08.2014, 18:19

shokunin hat geschrieben:@squid,

Die alten Clips in Sjaunja's Links sind von Schützen der Satsuma-Heki-Ryu, die pflegen das "Kriegsschiessen" (sowohl schnell als auch in Formation). Heki Ryu Insai-ha ist eng verwandt und da wird das auch noch gelehrt und geübt.
Das ist schon so etwa die Form, die auch auf dem Feld Anwendung fand - etwas anders als Kyudo heute ... weicher Handschuh (wegen Führen von Schwert, Reiten usw), verkürzter Auszug (wegen Helm), keine Bogenrotation (wegen Zeit - aber schon mit Torsion), Heben und Aufziehen von unten (wegen nicht in die Achsel geschossen werden wollen beim Heben über-Kopf) ::)



@ Shokunin
Hast Du eine Ahnung wie alt die clips sind? Von der "Filmmusik" im 1. clip würde ich schätzen, aus den 50ern. Klingt wie bei den alten TOHO-Filmen, also z.B. "Die Sieben Samurai".

Tack så mycket,
Sjaunja


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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von shokunin » 12.08.2014, 23:07

Bin auch nicht sicher... ich kann's leider nicht lesen, ich denke aber evtl 60er...
Von Brillen, City-Panorama usw hätte ich auf jeden Fall auch gesagt: Nachkriegszeit.

Einziger Anhaltspunkt für mich: der Meister im Film ist Shinobu Ito Hanshi, denke ich. Der verstarb 1981.

Auf 60er komme ich wegen der Olympiade in Tokyo 1964, da wurde das Koshiya der Satsuma Heki Ryu auch vorgeführt, hatte ich im Zusammenhang mit Meister Ito gelesen. Evtl hängt es damit zusammen, dass man es aufzeichnete...

Gruss,
Mark
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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von RoLi » 14.08.2014, 10:18

Zum Kriegsschießen.
Dieser Film stammt aus dem Anfang der 60iger Jahre. Zu der zeit gab es noch etwa 40 Schützen, die das aktiv trainierten (steht irgendwo im Vorspann und wurde mir von einer Japanerin übersetzt).
Interessant ist, dass Prof. Kurosu die Meinung vertritt, dass dies nicht die Art ist, wie auf dem Schlachtfeld geschossen wurde. Die Technik schon, die Taktik nicht. Er meint, dass diese Form zu Demonstrationszwecken geschaffen wurde.

Die Veranda am Sanjusangendo ist etwa 5,6 m hoch. Es wird also relativ flach geschossen, so dass der Pfeil erst nach etwa 2/3 der Strecke seinen höchsten Punkt erreicht. Dieses Schießen war der Schwerpunkt der Heki Ryu Bichu Chikurin Ha.
Wenn Koppedreyer von 160# Bögen spricht halte ich das schlicht für gewaltig übertrieben. Einen solchen Bogen würde niemand mehrere 1000 mal ziehen.
Es gibt ein Video aus dem Anfang der 80iger Jahre von Prof. Mori. Da werden die Vorbereitungen und das Schießen am Sanjusangendo gezeigt. Es war wohl ein Experiment der Universität.
Es wurden extra Pfeile und Bögen gebaut und es wurde mit einem 26 kg Bogen geschossen. Das reichte, um nach einigem Training die 120 m dort zu schießen.
Es wurde allerdings nicht mit der Technik der Bichu Chikurin Ha geschossen.
Der Rhythmus beim Schießen war in früheren Zeiten - ein Pfeil kommt am Ziel an, ein Pfeil ist unterwegs und ein Pfeil wird eingenockt.
Grüße
Rolf

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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von Sjaunja » 15.08.2014, 10:00

Danke für die Informationen!

@ Shokunin Yep, das war wohl wirklich bei der Olympiade 1964 in Tokio. Es gibt da noch einen clip, der eine Koshiya-Demonstration der Satsuma Heki Ryu in Tokio zeigt. Da wird erwähnt (0:48), dass die letzte Demonstration in Tokio vor 43 Jahren während der Olympiade stattgefunden hat. Der link zu dem Video ist hier zu finden, http://l-clausewitz.livejournal.com/430381.html, unter Heki-ryu Insai-ha demonstration. Da wird auch erwähnt, dass Koshiya erst zum Ende der Edo-Periode entwickelt wurde, was @ RoLi ja auch schon geschrieben hatte.

@ Fitzlibutz Zu Hoshino Kanzaemon und Wasa Daihachiro habe ich gefunden, dass es da einen Film aus dem Jahr 1945 gibt, der die Geschichte von Wasa Daihachiro (und Hoshino Kanzaemon) gibt: "A Tale of Archery at the Sanjusangendo" bzw. "A Tale of Archers at Sanjusangendo". Kennt den jemand von Euch Kyudoka, und, wenn ja, rentiert's sich, den zu kaufen? Würde mich interessieren. Bei Amazon gibt es ihn nicht, aber z.B. bei http://www.japanesesamuraidvd.com kann man den Film beziehen.

Grüsse,
Sjaunja

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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von shokunin » 15.08.2014, 19:56

Ich hab' den Film mal als Teil einer Mikio Naruse Retrospektive gesehen.

Such' evtl auch mal nach: Sanjûsangen-dô tôshiya monogatari (三十三間堂通し矢物語)
Es gab davon 'nen Clip auf YouTube, der ist aber mittlerweile privat. Und es gibt Downloads... nicht dass ich das unbedingt empfehlen wollte, ...aber $12 plus Porto ausgeben um ihn zu sehen empfehle ich eben auch nicht... :-\
Aus der Sicht eines Bogenschützen eigentlich nicht so rasend interessant fand ich...



@Roli,
Danke für die Infos zur Schiessbahn am Sanjusangendo und zu Koshiya :)

Das mit Hernn Koppedreyer war auf FB, kam hier aber wohl etwas falsch rüber...
Es ging da nicht explizit um Toshiya. Mr Kopperdreyer meinte, er habe in Japan Yumis mit 160# Zuggewicht gesehen und er habe sie mit "voller Kontrolle" geschossen gesehen...
Ich konnte dazu aber sonst auch nix finden, wer und wo und so weiter... aber dann ist mein Japanisch auch non-existent bis extrem dürftig.

Gruss,
Mark
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Re: Blutohr vs. Fahrradfahren

Beitrag von Sjaunja » 16.08.2014, 14:48

shokunin hat geschrieben:Ich hab' den Film mal als Teil einer Mikio Naruse Retrospektive gesehen.

Such' evtl auch mal nach: Sanjûsangen-dô tôshiya monogatari (三十三間堂通し矢物語)
Es gab davon 'nen Clip auf YouTube, der ist aber mittlerweile privat. Und es gibt Downloads... nicht dass ich das unbedingt empfehlen wollte, ...aber $12 plus Porto ausgeben um ihn zu sehen empfehle ich eben auch nicht... :-\
Aus der Sicht eines Bogenschützen eigentlich nicht so rasend interessant fand ich...


Danke für diese Informationen! Schade, ich hatte gehofft, dass bei einem prä-MacArthur'schen Samuraifilm die Kriegskunst mehr im Mittelpunkt steht und der oder die Schauspieler wirklich (fast) wie die Vorbilder aus dem 17. Jahrhundert schiessen.
Cheers,
Sjaunja

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