So, ich habe mir nun auch die "Bauanleitung" intensiv zu Gemüte geführt.
Bemerkenswert an dem Bogentyp sind folgende Dinge:
1. wird er aus fast grünem Holz fast fertig gebaut, wobei man das unvermeidliche Set erst mal in Kauf nimmt. Dieses wird dann mittels Hitze wieder "begradigt". Die eigentliche Trocknung bis zur "Gebrauchsfertigkeit" erfolgt am quasi fertigen Bogen.
2. Die Art der Sehnenbefestigung, dazu wurde ja schon alles gesagt! Interessanter Weise habe ich (OHNE jede Anleitung, aus dem Bauch) alle meine früheren Kinderbogen genau so gebaut! Einen davon hab ich sogar noch...
Ich kann dazu sagen, dass dies durchaus ein plausibler Weg ist, sich auch gut spannen und sicher schießen lässt. Der Nachteile sind, dass sich a) im Gegensatz zur heute üblichen Methode (Schlaufen/Sehnenkerben) lediglich die Sehne NICHT mal eben schnell wechseln lässt, und b) die Gefahr besteht, dass die Sehne das Bogenende spaltet (mir früher passiert!).
3. Der Bogen hat, wenn ich die Anleitung richtig verstanden habe, einen FÜNFECKIGEN Querschnitt im Wurfarm, zudem werden die steifen Endbereiche zum Ende hin wieder dicker (was im Zusammenhang mit 2. steht!). (Dazu sage ich unten noch was...)
Dies, in Kombination mit dem langen, steifen Mittelteil legt in der Tat nahe, dass es sich um eine Art "Alemannischen" Bogen handelt. Somit ist auch die Aussage von Wilfrid ("1000-jährige Tradition) plausibel!!
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Zur Ausführung aber wurde auch oben schon was gesagt, ich fasse das noch mal zusammen:
Der Bogentyp an sich, als auch die Ausführung, weisen einige technische Mängel auf, die sich weder wegdiskutieren noch im Sinne "kein Bug, sondern Feature" entschuldigen lassen! (Siehe auch unten, Fazit).
Schwachpunkte (Zusammenfassung):
1. massige (dicke) Endbereiche
Je schwerer die Enden sind, desto mehr Energie "verbraucht" der Bogen in der Bewegung der eigenen Masse. Allerdings steigert es auch die Unempfindlichkeit gegenüber schweren Pfeilen bzw. Gewichtsunterschieden. (Das wird ja aktuell auch in einem anderen Thread behandelt:
>> hier klicken <<).
Will man aus stilistischen Gründen die Sehnenbefestigung so machen wie hier gezeigt (wogegen nichts spricht, wenn man die o.a. Nachteile hinnimmt!), muss man die Ende allerdings entweder dicker ODER breiter werden lassen, damit die Knoten nicht abrutschen. Nur BEIDES zusammen wäre unsinnig!
2. Lange, steife Endbereiche
Diese sind sowohl bei Pyramidalbogen als auch bei kurzen Indianerbogen (die im Griff mitbiegen) anzutreffen, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen (Pyramidalbogen: Hauptbiegeung da, wo die größte Holzmasse ist, Indianerbogen: weniger Stacking).
Bei diesem Bogentyp (nach Bauanleitung: mannshoch) führen sie zwar auch zu einem weichen Auszug (wird in der Verkaufsbeschreibung ja auch aufgeführt!), sind jedoch angesichts der Länge EIGENTLICH gar nicht erforderlich, womit ihr Nachteil (kürzerer Biegebereich, sh. unten, 3.) überwiegen würde), in KOMBINATION mit 3. machen sie aber durchaus Sinn, denn faktisch IST es so "ein kurzer Indianerbogen, der mit einer steifen Mitte verlängert wird!"
3. Langes, steifes Mittelstück
Von den alemannischen Kriegsbogen bekannt. Typbedingte Fehlentwicklung, Stilelement ohne technischen Nutzen!
Bereits im Frühmittelalter hatte sich im Bogenbau die Erkenntnis durchgesetzt, dass es Sinn macht, die Biegespannung auf möglichst viel Holz zu verteilen und die Krümmungslast möglichst zu reduzieren!
Kompressionsschäden entstehen durch die Kombination aus Krümmungsradius und Spannung (Kraft), je länger der Biegebereich ist, desto geringer wird die Gefahr von Kompressionsbrüchen, was die Lebensdauer erhöht bzw. Fehlerhäufigkeit schon in der Bauphase reduziert.
4. Fünfeckiger Querschnitt
Auch dieser wurde parallel mit dem langen Mittelteil aufgegeben, aus den selben Gründen! Die Druckspannung an der Bauchseite wird vom Holz am besten vertragen, wenn sie sich auf mehr Fläche verteilt, anstatt sich in einer schmalen Kante zu konzentrieren.
(Ergänzend: Ob so ein Querschnitt noch funktioniert, hängt zum Einen davon ab, wie viel Zuggewicht der Bogen bekommt, und davon, wie abgerundet die Bauchkante ausgeführt wird, und wie hochwertig das Holz ist! Bei 30# und gerundeter Ausführung und druckresistentem Holz funktioniert es vmtl. auch längerfristig! Der Übergang vom alemannischen Fünfeck zum (im Querschnitt) elliptischen ELB ist fließend!)
5. Ausführung (unterer WA biegt sich stärker)
Eine solche, asymmetrische Ausführung gibt es heute noch bei 2 Bogentypen, dem Yumi und einigen asiatischen Reiterbogen. Sie kann daher nicht grundsätzlich als falsch angesehen werden!
Entscheidend für die Beurteilung ist, ob der Pfeil sauber fliegt oder "reitet".
Da sich dies durch eine höhere Nockpunktlage allerdings ausgleichen lässt, ist es letztlich eine Stilelement-Frage, und kann nicht pauschal verurteilt werden.
Ob es sich also um eine unsaubere Ausführung oder ein Stilelement handelt, könnte man nur im Gebrauch bzw. Vergleich beurteilen. (Dagegen spricht allerdings, dass nur EINER der o. gezeigten Bogen dieses aufweist.)
Fazit:
Es handelt sich um durchaus interessante Bogen. Allerdings entsprechen sie NICHT in allen Punkten dem HEUTIGEN Wissensstand über technisch sinnvollen Bogenbau, und sind daher eher von traditionellem oder historischem Wert.
Die Schussleistung dürfte eher im unteren Bereich dessen anzusiedeln sein, was mit reinen Holzbogen möglich ist. Die Fehleranfälligkeit dürfte hoch, die Lebenserwartung eher gering sein.
(Wilfrid schreibt auch im Rahmen seiner Bauanleitung an 2 Stellen über Bruchgefahr, und das so, als wäre das "normal"! Mir sind von rund 150 gebauten Bogen nur 3 gebrochen, und alle 3 hatten Material- oder Baufehler, die dies auch erwarten ließen!)
Einen Bogen so (aus historischem Interesse, Tradition, oder experimentell) zu bauen ist völlig o.k.! Den dann an möglicherweise UNKUNDIGE zu verkaufen, OHNE den Hinweis auf die Schwachpunkte, oder diese dann sogar "schönzureden", ist es, Wilfrid mag's entschuldigen, aus MEINER Sicht NICHT mehr!! Die einzige Entschuldigung dafür wäre: Der Verfasser weiß es selbst nicht besser! Möglicher Weise ist es aber so?
Nun, vielleicht hat dann ja diese Diskussion tatsächlich eine neue Sichtweise gebracht? Wäre doch was Positives, oder?
Rabe