Für interessierte an einer geschichte des bogens

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Krolm02
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Krolm02 »

Aber wenn der "böse Feind" mit zerdeppertem Bogen in der Hand da steht, macht sich das natürlich gut als Propaganda.... ;D
Na, dieses Bild poppt auf, wann immer die Steppenhanseln eins auf die Rübe bekommen haben. Ob auf dem Lechfeld oder auf den Katalaunischen Feldern - stets hat das böse Geschick die Bogenreiter im Regen stehen lassen.

Seltsam nur, daß in Ost- und Ostmitteleuropa eben dieser wetteruntaugliche Bogen für die Kavallerie übernommen worden ist!
Zur legendären polnischen Reiterei, die den bösen Osmanen das Leben so lange schwer machte, gehörten neben bekannten Flügelhussaren, auch die Pancerni (mittelschwere Kavallerie) - und die verwendeten bis ins späte siebzente Jahrhundert "türktatarische" Bögen.

Bild

(Im russischen Reich und bei den ukrainischen Kosacken sah es wohl ähnlich aus - zumindest kann ich mich an derlei Illustrationen erinnern).

Als Jan Sobieski 1683 mit seinen Reitern vom Kahlen Berg herunterstürmte, um den türkischen Belagerungsring um Wien zu zersprengen, hatte er nur 3000 Flügelhusaren bei sich, der Rest der cirka 20.000 Mann bestand aus Pancerni, litauischen Tataren und ukrainischen Kosacken - Einheiten die noch immer häufig den Reiterbogen verwendeteten (natürlich nur, wenns nicht gerade regnete :P ).
Die Litauischen Tataren (übrigens Muslims!) mußten einen Strohwisch am Helm tragen, damit sie überhaupt vom bösen Feind unterschieden werden konnten.

Das war keine kurzlebige Modeerscheinung. Polnische Kavallerieoffziere trugen den Bogen als Standessymbol sogar bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhundert!

Im rückständigen Kaukasus schwitzten die Chevsuren bis ins 20. Jahrhundert unter einem Kettenhemd a la Pancerni; auf einigen Photographien sind auch Bogen zu erkennen; die jüngste mir bekannte Aufnahme eines chevsurischen Bogenschützen (Daumengriff, aber kein Reiterbogen) stammt aus den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts.

Letztendlich können wohl nur Bogenbauer beurteilen, ob östliche Reiterbögen unter den klimatischen Bedingungen Europas für militärische und jagdliche Zwecke geeignet sind, oder ob sie "zerdeppern". Authentische Rekonstruktionen sind erst unlängst angefertigt worden, die könnten ja getestet werden, damit dieser zähe Mythos endlich aus der Welt geschafft werden könnte.

Denn im Osten Europas sind "türkische" Bögen sehr lange erfolgreich verwendet worden. Und regnen tuts da auch!

Wenn's aber nicht am Wetter liegt, stellt sich mal wieder die spannende Frage, warum der Kompositbogen nicht auch im restlichen Europa übernommen wurde.
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Heidjer
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Heidjer »

Krolm02 hat geschrieben:Wenn's aber nicht am Wetter liegt, stellt sich mal wieder die spannende Frage, warum der Kompositbogen nicht auch im restlichen Europa übernommen wurde.
Warum sollte er ?
Bekannt war der Bogentyp in Europa seit der Römerzeit, es waren überall Auxiliareinheiten stationiert und viele davon führten den Kompositbogen. Ich denke es lag eher daran das Fernkampfwaffen als eher unkriegerisch angesehen wurden, ein Krieger hatte dem Feind Auge in Auge gegenüber zu treten. ;)
Zudem brachte der Bogen keine oder fast keine Vorteile gegenüber einen Langbogen, und der war in ganz Mitteleuropa leicht, billig und schnell verfügbar, was alles nicht auf einen Komposit zutrifft!

Ich denke auch nicht, das ein Komposit nur auf Grund von Regen auseinander fliegt, ich glaube eher das so ein Bogen stärker Klimaabhängig ist. In so einen Bogen sind vier verschiedene Klimaempfindliche Komponenten verbaut, Holz, Horn, Sehne und Hautleim. Diese Materialien werden in einen (wärmeren und trockneren) Klima zusammen verbaut und kommen dann in ein feuchteres und kälteres Klima. Dabei werden sie auf Dauer aus dem Tiller geraten und die Bögen schlagen bei der Benutzung um und die Sehne fliegt weg, bzw sie verlieren an Leistung oder werden "unpräziese". Zerdeppert sind sie deshalb nicht, hängen denn nicht in irgendeiner Rüstkammer noch einige hundert Bögen aus der "Türkenbeute" rum?
Ich denke, ein Komposit sollte in dem Klima gebaut werden, in dem er auch benutzt werden soll. ;) Wurden in Mitteleuropa nicht vom 12 Jahrhundert an Kompositbögen für Armbrüste gebaut, die Bauweise war also bekannt?


Gruß Dirk
Ein Pfeil, den Schaft gemacht aus der Pflanzen hölzern Teil, versehen mit eines Vogels Federn und einer Spitze, aus der Erde Mineral, wird von der Natur gern zurückgenommen.
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Netzwanze
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Netzwanze »

Ich würde auch sagen, dass es in Mitteleuropa nicht die Notwendigkeit gab, (kurze) Komposits zu bauen.
Dort wo Bögen verwendet wurden, tut es der Langbogen auch. Und er ist wirklich einfacher und schneller zu fertigen, als ein Komposit (zur Not auch aus Grünholz in wenigen Stunden). Für eine kurze Armbrust sieht das natürlich anders aus.
Auseinander gefallen sind die Bögen sicherlich nur im Nahkampf. Ansonsten sind es sehr wahrscheinlich nur Mangelerscheinungen (der Bogen warf nur noch wie ein nasser Sack) gewesen. Und auch hier ist nicht gesagt, nach welcher Zeit sowas auftrat. Ich habe viele Komposits gesehen, die "nur" aus der Form gegangen sind.

Und es geht nicht nur Bögen so. Mein Vater ist Tischler und er sagte mir, dass man Holz, welches für den Außenbereich gedacht ist, immer aus dem lokalen Umfeld nehmen sollte. Denn dort ist es mit den lokalen Umwelteinflüssen aufgewachsen.

Christian
"Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, dass er tun kann was er will, sondern dass er nicht tun muss was er nicht will" (Jean-Jacques Rousseau)
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corto
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von corto »

jo in Europa ist zuviel gutes Holz überall, kein bedarf für komposit.


Die Auseinanderfallenden Kompositbögen sind recht einfach zu erklären.

Hautleim, reagiert bei warmen Temperaturen und niedriger Luftfeuchte gut und klebt einwandfrei.

Klebt man damit wenn es zu kalt oder zu feucht ist, oder wird es zu warm und feucht auf der Reise -
gehen die verklebungen wieder auf.

die schlechten Komposite waren warscheinlich einfach zu schnell/hastig gefertigt, oder im falschen Klime bei gleicher Aushärtungszeit des Leims...
ich habe keine Lösung und bin Teil des Problems -
aber bei geistlos rezipierten viralen Kampfbegriffen gegen Humanismus und Menschlichkeit geht mir der Hut hoch !
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Yayci
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Yayci »

@Krolm: Na klar, der ganze polnisch-lithauische Bereich hätte mir auch mal einfallen können! (Hat der kleine Osmanist mal wieder am Dnjepr kehrt gemacht und nicht weitergedacht... ::) ) Die osteuropäischen Völker haben ja einiges an materieller Kultur aus dem tatarisch-türkischen Bereich übernommen. Könnte man argumentieren, dass der Gebrauch des Kompositbogens sozusagen mehr Teil eines "kulturellen Pakets" war denn waffen-/ materialtechnische Notwendigkeit? Geeignete Bäume gibts ja in Polen, Ukraine etc genug.

---- Aber in Polen gebaute Kompositbögen werden ja wohl in Polen uneingeschränkt funtioniert haben, wenn man die Erklärungen von Corto, Netwanze und Dirk in Betracht zieht.

Zum Gebrauch des Kompositbogens (ich will immer "Kompostbogen" schreiben ;) ) in Westeuropa kann ich nur immer wieder auf das Kapitel von Holger Riesch: "Reflexbogen, Reiterköcher und Steppenpfeile: Elemente des asiatischen Bogenschießens in Europa" aus "Reflexbogen: Geschichte und Herstellung" von M. Bittl et. al. hinweisen. Auf google books einzusehen. Den Aufsatz finde ich sehr spannend, gerade was er über die mit Kompositbogen türkischen Stils bewaffneten "Husaren" in habsburgischen Diensten schreibt.
"Bogenschießen ist eine schwere Aufgabe, wer es betreibt, weiß es. - Okçuluk bir belâdir, onu çeken bilir." (Türkisches Sprichwort)
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Krolm02
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Krolm02 »

Den Beitrag zu den Bogenreitern im Dienste des Hauses Habsburg muß ich unbedingt lesen, klingt ja gar zu gut. Ach, wenn dieses Buch doch nit so teuer wär!
Yayci hat geschrieben:Wäre mal interessant rauszufinden, ab wann Pfeil und Bogen im osmanischen Reich selbst als obsolet und nur noch als Sportgerät wahrgenommen wurden.....
Von osmanischer Militärgeschichte hab ich leider keinen Schimmer, aber im Russischen Reich wurden quasi unlängst (vor 200 Jahren) 20.000 Baschkiren ausgehoben, die als irreguläre leichte Kavallerie mit ihren nationalen Waffen (Säbel, Bogen, Pfeile, Lanze, im Laufe der Zeit auch zunehmend Pistole und Flinte) gegen Napoleons Grande Armee gekämpft haben.
Über tausend dieser Baschkiren sind 1813/14 im Zuge der Kämpfe gegen Napoleon über Deutschland bis nach Paris gelangt und haben wegen ihres exotischen Aussehens allerorten viel Aufsehen erregt.
Die Franzosen nannten sie - wegen der Bögen - "Les Amours".

Aber das ist natürlich nur eine Fußnote.

Nochmal ganz thesenhaft kurz und laienhaft zur Verbreitung des Hornbogens: In Osteuropa gab es - vermittelt durch die "Kontaktzone" zu den Steppenvölkern - mit handlich kurzen Kompositbogen bewaffnete Reiterbogenschützen (trotz Regens und trotz Vorhandensseins zum Bogenbau geeigneter Hölzer) - im Rest Europas gab es nur "Bogenschützen zu Fuß", die mit einfach herzustellendem, hinreichend treffsicherem, aber vergleichsweise "langem" Schießzeug aus Holz zurechtkamen. Es bestand kein Bedarf, weil es die entsprechende "Waffengattung" berittene Bogenschützen, warum auch immer, nit gab.

Was mich nur noch interessieren würde: Woher kamen die Kompostibögen der Moskowiter und der Polen/Lithauer? Importe? Die wären ja in dem feuchteren Klima "aus dem Leim gegangen". Gab es folglich eigene Manufakturen?

Hm, in diesem regnerischen Sommer :'( kommt mensch schon ab seltsame Fragen.
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Feanor1307 »

Der Artikel beschriebt wann, welche Waffen, bei welchen Einheiten eingesetzt wurden:
http://www.tuerkenbeute.de/kun/kun_kri/ ... mee_de.php
Also irgendwann im 16 Jh.
Die Bögen der Moskowiter waren nach Informationen auf Atarn meist vom tartarischen Typus. Die ersten Muster dürften demnach aus den Kriegen der Tartaren mit den Russen gestammt haben (Beutestücke). Später gab es sicher Nachbauten der Kosaken. Wenn man die Bilder der russ. Sammlungen betrachtet ist mein subjektiver Eindruck das die Nachbauten jedoch wesentlich unsauberer gebaut wurden als jene Bögen die noch im Topkapi Palast vorhanden sind. Sie wirken selbst für Tartarenbögen grobschlächtig und weisen wenige bis gar keine Verzierungen auf. Zusätzlich haben sie meist großflächige Flickstellen hinter dem Griff, einer Problemstelle dieses Designs und weitere in den Wurfarmen. Dies deutet meines Erachtens auf mangelhafte Verarbeitung hin.
Ich denke nicht das es problematisch ist Kompositbögen in ein anderes Klima zu bringen. Die Osmanen haben dies ja über Dekaden getan. Nur muss der Bogner wissen was den Bogen dort erwartet. So wurden die tartarischen Bögen u.a. in Istanbul gebaut und über das schwarze Meer in die Ukraine zu den Tartaren exportiert. Sie waren durch Leder, Birkenrinde und Lackierung entsprechend geschützt und haben nach einer kurzen Zeit des Aklimatisierens gut funktioniert. Immerhin haben die Tartaren die Russen damit eine gute Zeit über in Schach gehalten :).

Viele Grüße Kevin
Niemand versucht es herauszuholen, wenn er einmal weiß was in Ihm steckt!
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Wilfrid (✝)
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Wilfrid (✝) »

einzig die Behauptung, der Alamannenbogen, typ Oberflacht, sei ein ungewöhnlicher Bogentyp, nicht stimmt. Für mich ist auch der Lange ganz normal, und die beiden kürzeren sind nun wirklich Bögen "as usual". Alle nach den Regeln der Kunst des weltweiten Langbogenbaus gebaut.
Nun, Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit nem Flitzebagen sind auf dem Bild deutlich zu sehen. Sooo groß sind die garnicht, bedenkt man Esche gegen Eibe
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Krolm02
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Re: Für interessierte an einer geschichte des bogens

Beitrag von Krolm02 »

Danke für den Hinweis auf Atarn, Kevin; hab mal schnell gestöbert; liest sich alles recht spannend.
Gruß
Peter alias Krolm02
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